Sozialistische Mystik, Mystischer Sozialismus: Sozialreform und alternative Religiosität in den Jahrzehnten um 1900
Seit dem neunzehnten Jahrhundert haben sich religiöse und sozialistische Bewegungen auf komplexe Weise überschnitten. Frühere Forschung hat gezeigt, dass sozialistische Bewegungen oft als „häretisch“ und „mystisch“ wahrgenommen wurden und dass sie sich mit alternativen religiösen Bewegungen wie dem Spiritismus und der Theosophie überschnitten haben. Solche Verbindungen bleiben jedoch in der Religionswissenschaft weithin unerforscht. Das Projekt füllt diese Forschungslücke, indem es die Verflechtungen zwischen Religion und Sozialismus in den Jahrzehnten um 1900 nachzeichnet.
Ein Teilprojekt von Konstantin Moser widmet sich dazu der Transformation des jüdischen Messianismus von Moses Hess (1812-1875) bis Martin Buber (1878-1965), während das andere Teilprojekt von Felix Janina Gräsche das Werk Gustav Landauers (1870-1919) und Hugo Balls (1886-1927) in den Blick nimmt. Ein Promotionsprojekt von Mikheil Kakabadze an der Universität Stockholm, das sich mit Ernst Bloch (1885-1977) beschäftigt, ist eng mit dem DFG-Projekt assoziiert.
Die in den Quellen greifbaren „mystischen“ Auffassungen von „Sozialismus“ werden in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext erläutert, was sowohl neue Perspektiven auf das Werk der Autoren als auch auf größere Entwicklungen an der Schnittstelle von Religion und Sozialismus eröffnet. Darüber hinaus wird eine kritische Analyse der Begriffe „Sozialismus“, „Mystik“, „Esoterik“ und „Okkultismus“ in zeitgenössischen sozialreformerischen Kreisen einen kritischen Beitrag zum theoretischen und terminologischen Repertoire der Religionswissenschaft leisten.
Die Projektleitung liegt bei Prof. Dr. Julian Strube.
Promotionsprojekt von Konstantin Moser, M.A.
Metamorphosen des Messianismus – eine Verflechtungsgeschichte zwischen dem jüdischen Saint-Simonismus und Moses Hess im Zeichen der sozialistischen Religion
Im Vormärz wurden heftige innerjüdische Debatten über eine „Erneuerung“ des Judentums geführt, die geprägt waren von der Verheißung der Emanzipation, aber auch einer Verunsicherung, um was es sich bei dem Phänomen ‚Religion‘ in Zeiten der Säkularisierung eigentlich handelt. In dieser Zeit der gesellschaftlichen und geistigen Umwälzungen tritt auch der Frühsozialismus in Deutschland und Frankreich in Erscheinung, in dem unterschiedliche Ansätze entwickelt wurden, die Kritik der Religion mit der Absicht der Rückführung auf ihren ‚ursprünglichen‘ sozialen, subversiven Gehalt und der Schaffung einer profanen, ‚neuen Religion‘ zu verbinden.
In diesem Spannungsfeld nehme ich das Wirken des jüdischen Frühsozialisten, Pionier-Kommunisten und Vordenker des Zionismus, Moses Hess (1812-1875) in den Blick, der an vielen Orten agitierte, besonders aber nach seiner Flucht aus Deutschland ab 1853 in Paris eine zentrale Wirkungsstätte hatte. Meine These ist, dass sich durch eine Neubetrachtung des französischen Kontexts die Hintergründe hinter seiner messianischen Hoffnung auf die Verwirklichung einer ‚sozialen Religion‘ oder ‚Religion der Zukunft‘, die den Abschluss der französischen Revolution anzeige, sowie auf die „Wiederauferstehung“ des jüdischen Volkes, in einem der Komplexität gerechter werdenden Licht darstellen lassen – nicht zuletzt durch die Berücksichtigung der in Frankreich sehr einflussreichen, frühsozialistischen Denkströmung des Saint-Simonismus, die die religiöse Suchbewegung und Debatte über eine ‚neue Religion‘ nach 1850 wesentlich mitprägte. Ausgehend von Hess‘ Beiträgen (u.a.) in der saint-simonistischen Zeitschrift der revue philosophique et religieuse, sowie die im Rahmen seines Engagements als Freimaurer entstandenen, bislang wenig beachteten Artikel und Manuskripte, wird spezifisch nach der Bedeutung von radikalen, alternativ-religiösen Milieus im Pariser Untergrund für die Ideenentwicklung von Hess gefragt, die in einem unerwarteten Zusammenhang steht mit der messianischen Politisierung des französischen Judentums im Zweiten Kaiserreich.
Der Ideentransfer und -austausch mit französisch-sozialistischen Intellektuellen im Exil, wie dem jüdischen Freimaurer und Saint-Simonisten Gustave d’Eichthal, hatte einen zentralen Anteil daran, einen Ausweg aus einem lebenslangen Konflikt von Hess sichtbar zu machen: Seine zwei großen Leidenschaften, den Sozialismus und das Judentum - die von Anfang an eine ambivalente, zeitweise mitunter feindliche Beziehung zueinander hatten - zu versöhnen.
Zur Homepage von Konstantin Moser.
Promotionsprojekt von Felix Janina Gräsche, Mag.Theol.
Kritische Religiosität: Zum Verhältnis von Mystik und Sozialismus bei Gustav Landauer und Hugo Ball
Im Rahmen des DFG-Projektes „Sozialistische Mystik, mystischer Sozialismus“ wird anhand der Werke von Gustav Landauer und Hugo Ball das Verhältnis zwischen Mystik und Sozialismus untersucht. Der methodische Fokus liegt auf historischer Rekonstruktion und kritischer Analyse der Begriffe und Motive.
Gustav Landauer (1870 – 1919) war sozialistischer Schriftsteller („Die Revolution“, „Aufruf zum Sozialismus“, „Skepsis und Mystik“, Herausgeber der Zeitschrift „Der Sozialist“) und politischer Akteur im Deutschen Kaiserreich sowie der Münchener Räterepublik 1919. Er beschäftigte sich außerdem als Jude mit mittelalterlicher christlicher Mystik (Meister Eckhart) und der chassidischen Mystik.
Hugo Ball (1886 – 1927) ist vor allem bekannt für seine tragende Rolle in der Entstehung der Kunstbewegung DADA (Gründung des „Cabaret Voltaire“ zusammen mit Emmy Hennings, „Galerie DADA“), seine Lautgedichte („Karawane“) und als Biograph von Hermann Hesse. Er verfasste aber auch politische und theologische Schriften („Zur Kritik der Deutschen Intelligenz“ und „Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben“), die für die zu leistende Untersuchung von besonderem Interesse sind.
In beiden Werken finden sich sowohl Bezüge zu mystischer Literatur und die Aufnahme mystischer Motive, als auch eine sozialistisch-geprägte Kritik der Gesellschaft. Die Forschungsarbeit untersucht die Schnittstelle zwischen sozialistischem Denken und mystischer Religiosität in der Kritik der (bürgerlichen) Gesellschaft. Dabei wird auch das Verhältnis zwischen institutionalisierter Religion und Staat (Deutsches Kaiserreich und Weimarer Republik) in den Blick genommen, sowie die intellektuellen Milieus, in denen sich Gustav Landauer und Hugo Ball bewegen (u.a. Martin Buber, Margarete Susman, Erich Mühsam).
Zur Homepage von Felix Janina Gräsche.
Assoziiertes Promotionsprojekt von Mikheil Kakabadze, M.A. (Universität Stockholm)
Apocalypse, Religion, and Marxism in the 20th Century: Revolution and Revelation in the Work of Ernst Bloch.
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